2017
Rückblick Studienwoche 2017
Hier finden eine Übersicht und Informationen zur Studienwoche 2018
Die Studienwoche 2017 ist vorbei, aber sie soll nicht schnell wieder in Vergessenheit geraten. Deshalb haben wir ReferentInnen und WorkshopleiterInnen gebeten, Ihre wichtigsten Botschaften kurz zusammenzufassen. Auch ihr Feedback war uns wichtig. Wunderbar ist auch, dass Kerstin Bachtler uns einen kleinen Mitschnitt Ihres Auftritts zur Verfügung gestellt hat. Jetzt haben die, die dort waren, die Möglichkeit die Studienwoche in Kreisau noch einmal Revue passieren zu lassen. Alle anderen können mit Hilfe der Texte, Fotos und der Filme auch ein bisschen teilhaben, an dem was wir gehört, gelernt und bearbeitet haben. Vielen Dank an alle, die daran mitgewirkt haben, dass die Studienwoche 2017, die so viele neue Denkanstöße gegeben hat, auf diese Weise lebendig bleibt.
Jürgen Wiebicke: Zu Fuß durch ein nervöses Land
Warum Demokratie analog sein muss
Ich habe mit meinen Äußerungen zweierlei versucht: Erstens eine Beschreibung der mentalen Verfassung unserer Gesellschaft. Ich habe erklärt, warum ich am Ende meiner 4-wöchigen Deutschland-Wanderung das Gefühl hatte, nach all den Begegnungen mit Menschen aus sehr unterschiedlichen Milieus, in einem „nervösen Land“ unterwegs gewesen zu sein. Mit Nervosität meine ich sowohl eine unklare, zumeist bange Zukunftserwartung als auch den verbreiteten Eindruck, man sei eingespannt in eng getaktete Zeitregime, in eine Logik von ständiger Beschleunigung, wünsche sich aber immer häufiger eine Atempause von dem Druck permanenter Veränderung. Zweitens wollte ich in Kreisau eine Diskussion darüber anzetteln, was sich politisch tun lässt gegen den lähmenden Pessimismus, der die Demokratie in ihrer Substanz bedroht. Denn wenn sich erst der Gedanke fest frisst, dass es auf den Einzelnen nicht mehr ankomme, weil Algorithmen, globale Konzerne oder die Wall Street über unser Leben bestimmen, droht Demokratie zu einer reinen Machttechnik von Politik-Profis zu degenerieren. Ich habe vorgeschlagen, die eigene Stadt, das eigene Quartier als den Raum zu entdecken, in dem man am ehesten die so wichtige Erfahrung der politischen Selbstwirksamkeit machen kann. Das gelingt aber in der
Regel nicht spontan, dazu sind tragfähige Strukturen einer aktiven Zivilgesellschaft nötig. Genauer habe ich das im meinem Buch „10 Regeln für Demokratie-Retter“ beschrieben. Wir haben kontrovers darüber diskutiert, ob es heute einen Mangel an utopischem Denken gibt. Meine Haltung ist diese: Ich glaube nicht an den großen Wurf. Ich vertraue auf die Kraft des Neu-Beginnens. Auf den kleinen Stein, den man in der eigenen Umgebung ins Wasser wirft und damit andere beeinflusst, auch kleine Steinchen zu werfen.
Jürgen Wiebicke
studierte in Köln Philosophie und Germanistik. Im Anschluss daran volontierte er beim Sender Freies Berlin und war dort Redaktionsleiter. Seit 1997 arbeitet er als freier Journalist, vor allem für den Hörfunk. Bei WDR 5 moderiert er jeden Freitagabend »Das philosophische Radio«, die einzige interaktive Philosophie-Sendung im deutschsprachigen Hörfunk. 2012 gewann er den Medienethik-Preis META der Hochschule für Medien Stuttgart. Er gehört zu den Programm-Machern des internationalen Philosophie-Festivals »phil.Cologne«. 2013 erschien bei Kiepenheuer & Witsch sein Buch »Dürfen wir so bleiben, wie wir sind? Gegen die Perfektionierung des Menschen – eine philosophische Intervention«.
http://www.kiwi-verlag.de/buch/zehn-regeln-fuer-demokratie-retter/978-3-462-05071-4/
http://www.kiwi-verlag.de/buch/zu-fuss-durch-ein-nervoeses-land/978-3-462-04950-3/
Detlef Endeward, Ekkehard Brüggemann: Spitzelberichte, Rosa Listen und die Volkszählung – Historische Beispiele zu Datensammlungen und deren Folgen
Wissenschaft und Technik wurden frühzeitig dazu genutzt, um Daten zu erfassen. Staaten zeigten sich hierbei schon immer als eine der eifrigsten Instanzen beim Datensammlen. So führten vor allem politische Veränderungen im Laufe der Geschichte immer wieder zur mißbräuchlichen Nutzung, so dass auch die Verfolgung von politisch andersdenkenden oder unerwünschten Personen immer wieder ermöglicht wurde.
Zumindest in der (bundesdeutschen) Bevölkerung gab es aber auch Unmut und Protest über Datensammlungen von staatlicher Seite. So führte die Klage gegen die Volkszählung in den 80er Jahren zu dem Gesetz der informationellen Selbstbestimmung welches heute im Rahmen der Digitalisierung auch noch maßgeblich für das bundesdeutsche Datenschutzgesetzt ist.
Aus der heutigen Sicht erscheint aber die Volkszählung eher wie ein Treppenwitz der Geschichte. Denn im Rahmen der Digitalisierung, haben sich viele Dinge im Bezug auf das Sammeln von Daten maßgeblich geändert:
- Im Vergleich zur Volkszählung geben wir heute freiwillig eine Unmenge mehr an Daten preis, ohne zu wissen, was damit in Zukunft passieren wird. Unsere Telefone machen uns heute zu den datentransparenten Wesen. Wir haben zwar ein Auskunftsrecht unsere gespeicherten Daten einzusehen – aber die Schlußfolgerungen, die aus unseren Daten gezogen werden, bleiben für uns intransparent.
- Selbstbestimmung wird durch komplexe AGBs ausgehöhlt. Es scheint sich niemanden dafür zu interessieren , geschweige denn werden diese gelesen. Oder haben sie bei der Zahlung mit der EC-Karte den Ablassbrief einmal gelesen, den Sie da unterschreiben? Haben sie einmal die allgemeinen Geschäftsbedingungen von GOOGLE / FACEBOOK / PLATZHALTER gelesen ?
- Vielerlei Gesetzesänderungen zum Sammeln von Daten durch Behörden führen zu keinerlei Protesten mehr in der Bevölkerung – es gibt einen Grundtenor des Desinteresses (warum auch immer)
- Daten werden von Behörden mit vielfältigen Zugriffsmögflichkeiten für andere Behörden abgelegt und zugänglich gemacht (Bundesmeldegesetz, Abfrage der Passfotodatenbank, Zugriff auf Finanzdaten, Vorratsdatenspeicherung etc.). Dieses führt zu einem schier unübersichtlichen Feld von Datenspeichern, die niemand wirklich kontrollieren kann, denn:
- Trotz der vielfältigen Speicher- und Abfragemöglichkeiten für und von Behörden sind Staaten aber auch Dienstleister NICHT in der Lage Daten so zu schützen, so dass eine zukünftige, mißbräuchliche Nutzung zu 100% ausgeschlossen werden kann.
Wer trägt eigentlich die Verantwortung für all das, was heute entschieden wird ?
Vielleicht konnte der Vortrag einen kleinen Beitrag zu einer aus unseren Perspektive dringend notwendigen Form von Aufklärung im digitalen Zeitalter leisten.
Erhebungsbogen der Volkszählung 1987:
https://web.archive.org/web/20081001145203if_/http://www.statistik-portal.de:80/Statistik-Portal/Zensus/VZ87_Erhebungsbogen.pdf
Detlef Endeward
M.A. ist Fachbereichsleiter Medienbildung im Nds. Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) in Hildesheim. Er studierte Geschichte, Politik, Philosophie und Pädagogik an der Universität Hannover und arbeitete anschließend an Schulen und in der außerschulischen Bildung. Seit Anfang der 80er Jahre ist er im Bereich der Medienbildung tätig, zunächst in der Landesmedienstelle Niedersachsen, dann im Nds. Lehrerfortbildungsinstitut.
Von 2000 bis 2003 war er Mitglied der Projektgruppe n-21 im Nds. Kultusministerium. Von 1991 bis 2014 war er Lehrbeauftragte am Historischen Seminar der Universität Hannover. Er ist Vorstandsmitglied der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Kommunikation und Medien (IAKM) und der Gesellschaft für Filmstudien (GFS), Mitglied der Länderkonferenz MedienBildung (LKM), der GMK und Mitglied im Nutzerbeirat des Georg-Eckert-Instituts sowie des wissenschaftlichen Beirats des Filminstituts Hannover. Arbeitsschwerpunkte sind Medienkonzeptentwicklung an Schulen, Unterrichtsentwicklung, Historisch-politisches Lernen mit Medien
Ekkehard Brüggemann
Leiter des Medienzentrums Landkreis Harburg in Norddeutschland, Medienpädagogischer Berater des NLQ und Lehrer mit einer, sich seit den 1980er Jahren im digitalen Untergrund (Demoszene) entwickelnden und noch immer gepflegten Hassliebebeziehung zur Informationstechnik. An Energie gewinnt er z.B. durch Reibung an den heutigen und früheren technischen Herausforderungen diverser Systeme aber auch durch netzpolitische Themen. – http://ekkbi.de
Heike Groll: Lügenpresse und Filterblasen – Medien und ihre Glaubwürdigkeit
Journalisten stehen einer wachsenden Informationsflut, Rund-um-die-Uhr-Kommunikation, Zeitdruck und Arbeitsverdichtung gegenüber. Mögliche Auswirkungen: Weniger Recherche, Hofberichterstattung, Terminjournalismus. Andererseits: großer Datenfundus für, mehr Ausdrucks- und Dialogmöglichkeiten für Journalisten und Publikum.
Die Digitalisierung hat die Rollen von Publikum (viele Einzelinteressen, mehr Möglichkeiten, sich zu äußern) und Journalisten (Kuratoren und Moderatoren statt Gatekeeper, die allein darüber entscheiden konnten, was das Publikum zu interessieren hat) verändert.
Zentrale Herausforderung: Journalismus muss glaubwürdig sein, sonst braucht man ihn nicht.
Über Glaubwürdigkeit und Vertrauen in Medien gibt es viele Studien mit sehr unterschiedlichen Methoden und Ergebnissen von „Vertrauen auf dem Tiefpunkt“ bis „Vertrauen so hoch wie nie.
Ein paar Thesen werden jedoch von mehreren großen Studien gestützt (vgl. ARD-Forschungsdienst in: Media Perspektiven 01/17). U.a. genießen traditionelle Medien das meiste Vertrauen. Allerdings nimmt das Misstrauen in einem Teil der Bevölkerung nimmt zu (wirtschaftliche Situation, Alter, politische Einstellung spielen eine Rolle.).
Algorithmus und Journalismus: Besonders wichtig sind Suchalgorithmen, Facebook-Newsfeed-Algorithmus, Social Bots. Immer wichtiger wird Roboterjournalismus für standardisierbare Themen wie Lokalsportberichte und Wetternachrichten werden.
Algorithmen entscheiden, welche Infos überhaupt und an welcher Stelle angezeigt werden. Sie sind von Aktivitäten des Users beeinflusst und versorgen User mit individuell unterschiedlichen Inhalten = unterschiedlichen Realitäten. Problematisch kann sein, dass der Algorithmus geheim ist. Auch sehen wir nur, was wir mögen = Echokammer. Social Bots sind mitunter schwer als solche zu erkennen. Sie könnten Trends und Themen in sozialen Netzwerken manipulieren.
Die meisten User nutzen nur die ersten Treffer bei einer Google-Suche. Für Medien ist es wichtig, dass ihre Online-Beiträge von vielen Menschen geklickt werden = hohe Reichweiten, von denen u.a. Werbeeinnahmen abhängen. Online-Texte werden darum für Suchmaschinen optimiert geschrieben (= bestimmte Schlüsselbegriffe, Links etc.), damit sie weit vorn auftauchen.
Fake News sind keine neue Erscheinung, Gerüchte gab es schon immer. Die Technik ermöglicht aber heute eine rasend schnelle Verbreitung.
Für Journalisten ist es umso wichtiger, ihren Auftrag zu erfüllen: Recherchieren, Informieren, Einordnen, Wächter sein. Gegen Fake News helfen z.B. Faktenchecks, persönliche Gespräche mit Lesern, Counter Speech gegen Hate Speech (z.B. https://no-hate-speech.de/). Wichtig ist auch: denen zuhören, die nicht laut schreien; keine Themen und Meinungen ausblenden; erklären, wie wir arbeiten, und offen mit eigenen Fehlern umgehen; Lösungen und Konsequenzen benennen; Unabhängigkeit wahren.
mein persönlicher Eindruck: Sehr interessierte und kritische Fragen insbesondere zum Umgang mit Fake News, Social Bots, der Arbeitsweise von Print- und Online-Redakteuren. Angenehm offene und konstruktive Gesprächskultur.
Heike Groll
Leitende Redakteurin in der Chefredaktion der Volksstimme und zuständig für Personalentwicklung in der Redaktion sowie für redaktionelles Projektmanagement. Zuvor war sie nach dem Journalistikstudium an der Universität Dortmund bei der Leipziger Volkszeitung, bei der InitiativeTageszeitung/Drehscheibe in Bonn und dem Fränkischen Tag in Bamberg tätig. Seit 2015 Sprecherin der Jury des Deutschen Lokaljournalistenpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Piotr Jendroszczyk: Kulturkampf auf polnisch
Polen befindet sich in der Zeit des politischen Umbruchs. Einige sagen es ist eine echte Revolution. Die herrschende PiS Regierung, gesteuert von Jaroslaw Kaczynski (genannt: Der Gouverneur, wie Józef Piłsudski ) ist im Gange, die Justiz in Polen nicht nur komplett zu reformieren, aber auch mit eigenen Leuten zu besetzen. Die verabschiedeten zwei von drei Gesetzen des Parlaments sind verfassungswidrig und deshalb wurden sie vom Präsidenten nicht unterzeichnet. Es geschah in Folge der Massendemonstrationen im ganzen Polen. Entscheidung des Staatspräsident Andrzej Duda wurde durch die regierende Partei scharf kritisiert. Die Opposition und die zahlreiche Organisationen der Demonstranten feierten den Sieg.
Neue Gesetze werden derzeit vorbereitet und vieles deutet darauf hin, dass sie auch nicht mit der Verfassung konform sein werden. Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren (eine pro???) eingeleitet, und droht mit Sanktionen.
In diesem Kontext ist die Situation der polnischen Medien zu sehen.
Viele von ihnen kämpfen für die Rechtstaatlichkeit und sind von Anfang an gegen die PiS Regierung positioniert. Das war Dorn im Auge der Regierung, die plant auch die Medienlandschaft in Polen umzubauen.
Mit der Übernahme der öffentlichen Medien durch PiS sind sie ein Instrument der promitives und sogar bäuerischen Propaganda geworden. Identisch wie das der Fall in der ehemaligen Volksrepublik Polen war. Die öffentlichen Medien verlieren dadurch an Bedeutung. Der Plan der Regierung sieht vor den Einfluss in die privaten Medien zu bekommen. Im September (2017) soll das entsprechende Gesetzprojekt vorliegen.
Die Regierung will den Hebel dort ansetzen, wo sie eine Monopolbildung nachweisen kann. Das wäre am ehesten bei den regionalen Tageszeitungen möglich, von denen allein 20 Titel einer Tochterfirma der Verlagsgruppe Passau gehören. Im Gespräch ist aber auch, den Anteil von ausländischem Kapital an Medien grundsätzlich zu beschränken.
Alles unter dem Losung „Repolonisierung“ der Medien und Schluss mit „deutscher Kontrolle”. Neben der Verlagsgruppe Passau ist noch Springer Verlag und Burda in Polen präsent.
Es wäre übertrieben zu sagen, dass es in Polen im Augenblick keine Pressefreiheit gibt. Es funktionieren noch zahlreiche private Medien, die die Regierung heftig kritisieren. Die größten von ihnen sind an der Börse registriert und ihre Aktien haben schon die Staatskonzerne angefangen zu kaufen. Für die Zukunft der freien Medien ist das ein sehr gefährliches Unternehmen.
Piotr Jendroszczyk
wurde 1949 in Chorzów (Oberschlesien) geboren. Er studierte Juristik an der Schlesischen Universität Katowice, und Journalismus an der Warschauer Universität. Ein paar Jahre reiste Jendroszczyk um die Welt, wobei zahlreiche Publikationen über die USA, Australien Indien und den Nahen Osten entstanden. Danach publizierte er in zahlreichen polnischen Zeitungen und Zeitschriften. Er ist der Autor des Buches über Israel unter dem Titel „W cieniu gwiazdy Dawida” [Im Schatten des Davidsterns] erschien 1990. Er war bis 2000 Korrespondent in Russland und dann bis 2011 in Deutschland für die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita, für die er bis heute tätig ist.
Carsten Stubenrauch: Die Industrie im digitalen Wandel
Geprägt durch die Nutzung digitaler Technologien sieht sich die Industrie nach den bisherigen drei großen industriellen Revolutionen vor einer weiteren großen Veränderung. In einigen Bereichen, z.B. dem Banken-und Versicherungswesen oder im Bereich Medien hat die Digitalisierung die Arbeits-, Konsum- und Sozialwelt bereits nachhaltig verändert. Auch die technisch geprägte Industrie kann sich diesem Trend nicht entziehen, digitale Technologien ziehen mehr und mehr in diesen Sektor ein. Arbeitsabläufe werden automatisiert, Voraussagen bzgl. Lebensdauer und / oder Versagenswahrscheinlichkeit werden auf Basis erfasster Daten erzeugt und Visualisierungstechnologien erlauben inzwischen eine von der Realität unabhängigen Betrachtung von vorhanden und neuen Planungen.
Digitalisierung an sich ist jedoch kein komplett neuer Trend. Es werden seit Jahren computergestützte Anwendungen zur Berechnung, Konstruktion und Fertigung verwendet. Schriftverkehr und Kommunikation findet in der Arbeitswelt und im täglichen Leben zum Großteil über E-mail statt, der Brief und die Zeitung haben oftmals ausgedient. Und dennoch sind im Rahmen der Digitalisierung extreme Herausforderungen zu erkennen. Die Vernetzung der Systeme zur übergreifenden Verwendung von Daten sowie der Anspruch auf nachhaltig effiziente und kostengünstige Produktion lassen sich in etablierten Unternehmen mit seit Jahren aufgesetzten Systemen und Prozessen nicht von heute auf morgen umsetzen. Der Mensch an sich spielt hier eine zentrale Rolle die nicht zu unterschätzen ist. Immer wieder wird von Verlagerung von Tätigkeiten auf bzw. Übernahme von Tätigkeiten durch Computer und ähnlichen Szenarien gesprochen. Dadurch ist die Bereitschaft zum Wandel und damit die Nutzung der digitalen Technologien ein essentielles Thema. Andererseits ergeben sich aber natürlich auch bisher ungeahnte Möglichkeiten zum Interagieren zwischen Kollegen, Standorten, Firmen und / oder Mensch und Maschine.
Linde Engineering ist bereits seit vielen Jahren Vorreiter bei der Nutzung seiner IT-Tools im Rahmen der globalen Projektabwicklung. Cloudlösungen, digitale Kommunikationsmöglichkeiten und Auswertung bzw. Analyse von vorhandenen Betriebsdaten ermöglichen bereits heute eine hoch effiziente und flexible Projektabwicklung unter Verwendung von „State of the Art“ Konstruktions- und Auslegungsmethoden.
Als eines der führenden Engineering Unternehmen weltweit wird die Nutzung digitaler Technologien stark gefördert und gefordert, immer unter Berücksichtigung von Anforderungen und Bedürfnissen unserer Kunden und Mitarbeiter. Dennoch sind wir der festen Überzeugung, dass der Mensch auch in Zukunft eine essentielle Rolle in der Arbeitswelt einnehmen wird, neben rationellen Entscheidungen stehen auch immer emotionale Entscheidungen, die zu treffen sind. Ein sinnvoller Einsatz von digitalen Technologien kann uns aber unterstützen unseren Alltag und die Arbeitswelt einfacher und effizienter zu gestalten – wenn dies gewünscht ist.
Carsten Stubenrauch
Fachbereichsleiter „Plant Design“ bei der Linde AG – Geschäftsbereich Linde Engineering (Gastechnologie und Petrochemie), operativ und personell verantwortlich für die deutschen Standorte Pullach und Dresden im Bereich Anlagenkonstruktion (Rohrleitungskonstruktion / -material, konstruktiver Stahlbau, Bau, Gebäude inkl. TGA). Globale Verantwortlichkeit für die im IMS hinterlegten Prozesse der genannten Disziplinen. Außerdem mehrjährige Erfahrung und Leitungsverantwortung im konventionellen und kerntechnischen Kraftwerksanlagenbau.
Dipl.-Ing (FH) Maschinenbaustudium mit Vertiefung Energie- und Antriebstechnik, Fachhochschule Gießen-Friedberg. Zusätzliche Ausbildung zum European Welding Engineer (Schweiß-Fachingenieur).
Ralf Friedrich Neuhaus: Mensch – Maschine – Kooperation
Der Mensch in der digitalen Logistik
Digitalisierung ist derzeit in aller Munde. Aber was bedeutet das für den Menschen in der digitalen Logistik und Produktion? Vollautomatisierung mit Roboterstraßen und menschenleeren Logistikzentren? Der Einsatz von augmented und virtual reality, um Mitarbeiter zu unterstützen und zu entlasten?
Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik sieht Menschen und Maschinen zumindest in den nächsten Jahren als Partner in einer vernetzten Arbeitswelt. Ob Assistenzsysteme in der Planung, Modellierung und Simulation für den Betrieb von komplexen Abläufen und Prozessen in Produktion, oder Exoskeletts bzw. selbstfahrende Fahrzeuge inner- und außerbetrieblich: Menschen werden sich spielerisch durch serious gaming ihre neuen Arbeitsplätze vom Kommissionierplatz bis zum Güterverteilzentrum vorstellen und gestalten können. Sie werden sich diese neuen Formen der Arbeit ganzheitlich aneignen können, so selbstbestimmt wie möglich, sich zu Netzwerken zusammenschließen, arbeitsteilig und genossenschaftlich Leistungen anbieten in neuen coworking spaces wie am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, wo angewandte Forschung mit Unternehmen vorangetrieben wird.
Eine Renaissance des Manufakturgedankens und individueller Produkte deutet sich schon an. Diese neuen Formen des Arbeitens, auch sozialen Engagements und kreativer Freiräume für sich selbst bedürfen Orten und Räumen dafür: diese reichen von Konzepten wie Utopiastadt, Modellen von Frithjof Bergmann bis hin zu einer von Verantwortungsethik getragenen integrierten Technikfolgenabschätzung. Die Änderung von Lebensstilen und daraus resultierendem Konsumentenverhalten, auch bedingt durch den demographischen und Klimawandel, wird eine höhere Flexibilität erfordern, denen selbst autonome, vernetzte Maschinen nicht vollkommen gewachsen sein werden. Es wird wieder mehr Klasse als Masse – auch aus ökonomischen Gründen – gefragt sein. Menschliche Kreativität wird hier auch gefragt sein und sollte viel stärker unser Leben, Arbeiten und unsere Freizeit bestimmen in Form eines lebenslangen Lernens – das Spaß machen kann, wenn man Bildung nicht als Massenveranstaltungen sieht, sondern individueller Förderung Raum und Zeit gibt.
Ein kurzes Fazit sei gezogen: Wir sollten der Software nicht die Verantwortung überlassen für unser Tun, sondern das Heft des Handelns in der Hand behalten. Im Notfall muss man immer den Stecker ziehen können und wissen, was man dann tun muss… Und dessen Sinn einsehen.
Ralf Friedrich Neuhaus,
PR Officer am Fraunhofer IML, Studium Germanistik und Geschichte, Philosophie und Kulturanthropologie, Uni-Bonn, Abschluss: 1. Staatsexamen und Dipl.-Phil (nur temporär Anfang der 1980er Jahre vergeben). Referendarzeit an Kaufmännischer Schule und Gymnasium; bewusst nicht abgeschlossen. Kompaktstudium an der Technischen Akademie Wuppertal, Pilotstudiengang, heute Bachelor of Arts Wirtschaft, darin 6-monatiges Praktikum am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, dort nach Studienabschluss Inhaber der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit.
Mitglied des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte bdvb seit 2003. Vorstand (PR) der Bezirksgruppe Berg-Mark und Initiator und Mitgründer der Fachgruppe „Umwelt-und Energiepolitik“. Vizepräsident seit Mai 2016. Mitglied des Think tank „Science“ des British Council.
Dr. Nina Köberer, Ekkehard Brüggemann –
Werkstatt: Medienethik und Selbstbestimmung im digitalen Umfeld
Eigentlich wissen die wenigsten Menschen was hinter ihrem Rücken eigentlich alles passiert.
Unser Fazit:
- Ausspähung und technologische Gegenwehr erinnert an ein Wettrüsten
- Gegenmaßnahmen haben sehr geringe Halbwertszeit
- Derzeit wichtigste Prinzipien: Datensparsamkeit + Fake
- Sollte uns Selbstbestimmung als Prinzip erhalten bleiben wollen, so müssen wir politisch agieren und uns dringend etwas anziehen (siehe LINK)
- Daten haben einen Wert: Wa(h)renwert
- Sensibilität und Bewusstsein zu schaffen statt Lösungen zu suchen
Die im Workshop benutzten Werkzeuge könnt ihr direkt von Ekkehard Brüggemann bekommen.
Links:
Webdokumentation – Do Not Track – https://donottrack-doc.com/
Webdokumentation – Netwars – https://www.netwars-project.com/de/webdoc
Klicksafe – http://www.klicksafe.de/
Handysektor – http://www.handysektor.de/
Netzdurchblick – http://www.netzdurchblick.de/
Youngdata – http://www.youngdata.de/
Dr. Nina Köberer
Studium der Philosophie, Germanistik, Geographie und Erziehungswissenschaft (Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Realschulen), anschließend Magisterstudium in den Fächern Philosophie und Germanistik. Von 2009 bis 2012 Stipendiatin der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg, Dissertation im Fach Philosophie (Medienethik). Von 2012 bis 2013 Projektleitung im Agenturbereich Bildungskommunikation beim Yaez Verlag in Stuttgart. Von 2013 bis 2016 freiberufliche Tätigkeit als strategische Beraterin von Kunden aus dem privaten und öffentlichen Bereich. Seit 2011 Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Medienethik an der PH Ludwigsburg. Von 2012 bis 2016 Sprecherin der Nachwuchsgruppe Kommunikations- und Medienethik der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) und seit 2014 zweite Vorsitzende des Vereins zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle e.V. (FPS). Von 2013 bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen im Arbeitsbereich Ethik und Kultur. Seit 2016 Dezernentin für Medienethik und Politische Bildung im Fachbereich Medienbildung am Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ). Seit 2009 Lehraufträge an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und an externen Hochschulen.
Ekkehard Brüggemann
Leiter des Medienzentrums Landkreis Harburg in Norddeutschland, Medienpädagogischer Berater des NLQ und Lehrer mit einer, sich seit den 1980er Jahren im digitalen Untergrund (Demoszene) entwickelnden und noch immer gepflegten Hassliebebeziehung zur Informationstechnik. An Energie gewinnt er z.B. durch Reibung an den heutigen und früheren technischen Herausforderungen diverser Systeme aber auch durch netzpolitische Themen. – http://ekkbi.de
Uwe Bork: Werkstatt – Mehr als nur Musik: „Die schwarze Kunst des Blues“
Blues in der polnischen Provinz: Ja, geht das überhaupt? Stoßen da nicht unweigerlich zwei Kulturen stärker aufeinander, als sich das Samuel Huntington je hätte träumen lassen?
Nach zweieinhalb Sitzungen im Dachgeschoß eines vormals preußischen Herrenhauses lässt sich sagen: Blues in der polnischen Provinz, das geht sogar sehr gut. Das funktioniert, wenn man unter Blues mehr versteht als nur eine von der Realität – und der Ästhetik – längst überholte musikalische Ausdrucksform unterdrückter schwarzer Landarbeiter im amerikanischen Süden.
Der Blues, das ist nur unter einem geschichtlichen Blickwinkel nicht mehr als eine nicht sonderlich komplizierte Liedform, in der drei Akkorde monoton wiederholt werden, während der simple Text sich wahlweise mit guten Frauen und schlechtem Whiskey, schlechten Frauen und gutem Whiskey oder – im seltenen Idealfall – guten Frauen und gutem Whiskey beschäftigt.
Blues in der polnischen Provinz, das geht deshalb, weil, wie wir an Beispielen von Bessie Smith bis zu den Rolling Stones gesehen haben, Blues die Kunstform ist, die allen musikalisch nicht gänzlich unbildbaren Menschen eine Auseinandersetzung mit ihrem Leben ermöglicht, mit den erlebten Pannen, aber auch mit den noch zu erwartenden Perspektiven. Der Blues setzt Emotionen frei, beim Selbermachen oder auch schon beim bloßen Zuhören und Mitleiden oder Mitfreuen.
Der Blues schafft eine Gemeinschaft der durchaus nicht immer nur tieftraurigen Gefühle, er ist daneben aber auch eine erotische oder ausgelassene Tanzmusik und er eröffnet zusätzlich Perspektiven von Hoffnung und Glauben an eine bessere Zukunft. Oder, wie der legendäre Mississippi-Bluessänger Howlin‘ Wolf es ausdrückte: ‚Well now, baby meet me in the bottom, bring me my running shoes!‘
Auf der Suche nach der ’schwarzen Kunst des Blues‘ haben wir uns dorthin auf den Weg gemacht, wo der Blues zu finden ist. Wir waren mit einer Dokumentation des amerikanischen Filmemachers Les Blank unterwegs im Mississippi-Delta, wir haben im Kansas City der Fünfziger Big Joe Turner skake, rattle and roll gehört, in New York den Verbindungen zwischen Blues und Jazz nachgespürt und sogar eine Einladung ins prä-trumpsche Weiße Haus wahrgenommen.
Gesehen haben wir dabei: Der Blues ist eine globale Kunstform geworden, abhängig nicht mehr von der Hautfarbe, wohl aber von der gesellschaftlichen und persönlichen Lage. Denn wenn da so einiges zusammenkommt, dann kann ihn jeder haben, den Blues.
Immer und überall…
Uwe Bork
studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik.
Nach dem Studium arbeitete Uwe Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Bis 2016 Leiter der Fernsehredaktion ‚Religion, Kirche und Gesellschaft’ des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet.
Zusätzlich zu seinen Filmen hat Uwe Bork auch mehrere Bücher veröffentlicht, in denen er sich mit Urteilen und Vorurteilen über Religion auseinandersetzt, und er ist regelmäßiger Autor für das Politische Feuilleton des Deutschlandradios.
Kerstin Bachtler: Kulturprogramm – Den Moltkes ganz nah – Meine Eindrücke aus Kreisau
2011 kam ich zum ersten Mal mit den Briefen von Freya und Helmuth von Moltke in Kontakt. Von Anfang an beeindruckte mich dieser ungewöhnliche und intensive Wortwechsel des Ehepaares, das sein Lebensglück opferte und mit aller Kraft versuchte, Deutschland unter Hitler vor dem Untergang zu bewahren. In Kreisau lebten die beiden, in Kreisau trafen sie sich mit anderen Widerstandskämpfern, von Kreisau aus wollten sie Deutschland neu ordnen – nach Hitler. Dazu kam es nicht, denn Helmuth von Moltke wurde genau wie acht andere Mitglieder des „Kreisauer Kreises“ von den Nazis hingerichtet. In ihren Briefen berichten Freya und Helmuth, beides promovierte Juristen, wie sich Deutschland damals entwickelte und wie die Pläne des Kreisauer Kreises reiften. Daneben sind es aber auch zärtliche Liebesbriefe eines Paares, das seine Heimat in jenen unruhigen Zeiten ganz entschieden in Kreisau verankerte. Immer wieder erinnern sie sich an die wunderschöne Natur in Niederschlesien, erzählen von Erlebnissen in und um das große Gut, das sie in Kreisau bewirtschafteten.
Beim Lesen der lebendigen Schilderungen wuchs in mir seit 2011 das Bild, wie es wohl damals in Kreisau gewesen musste, aber wie es wirklich dort aussieht, das erlebte ich erst jetzt, beim Besuch der IAKM-Tagungswoche in Kreisau 2017. Ich war überrascht, wie stark es mich berührte, mich tatsächlich an diesem historischen Ort zu bewegen. Noch am ersten Abend, als ich ankam, bin ich in der Dämmerung zum Berghaus hinter der Gutsanlage gelaufen, weil es mich drängte, das Haus zu sehen, in dem die Familie Moltke lebte. Am nächsten Tag wanderte ich nachmittags durch die ruhige weite sonnige Landschaft, auf den gleichen Wegen, auf denen auch Freya und Helmuth spazieren gegangen sein mussten. Sie erzählen davon in ihren Briefen. Und dann am Abend habe ich den IAKM –Teilnehmern aus diesen Briefen vorgelesen. Ich wusste aus der Erfahrung anderer Lesungen in den vergangenen sechs Jahren, dass man sich der Wirkung dieser Texte nur schwer entziehen kann, aber hier in Kreisau entstand eine besondere Nähe zu den Zuhörern. Hier konnten wir auf außergewöhnliche Weise teilen, wovon die Briefe erzählen, denn ich musste nicht viel zum Ort erklären – jeder erlebte ihn ja gerade ganz persönlich. Nach der Lesung noch zusammenzusitzen und zu spüren, wie groß das Bedürfnis war, sich über das gerade Gehörte auszutauschen, zu diskutieren, Fragen zu stellen, die auch einfach nur stehen bleiben durften, weil es selbst nach so langer Zeit keine Antworten auf das Unfassbare von damals gibt, das war für mich als Vortragende eine großartige Erfahrung. Viele aus der IAKM-Gruppe haben sich bei mir bedankt, aber genau so bin ich es, die zu danken hat: Für das aufmerksame Zuhören und für die guten Gespräche, die wir in den beiden Tagen, an denen ich dabei war, führten. Und nicht zuletzt bin ich sehr dankbar, dass die Einladung der IAKM der Anlass war, überhaupt einmal nach Kreisau zu reisen, den Ort zu erleben und mich von der hervorragenden Ausstellung zum Kreisauer Kreis, die dort gezeigt wird, berühren zu lassen.
Kerstin Bachtler
geboren in der Pfalz, arbeitet die studierte Germanistin und Kunsthistorikerin als Radio- und Fernseh-Moderatorin beim Südwestrundfunk. Seit 30 Jahren spielt sie Theater. Sie ist Autorin eines Pfalz-Buches und verschiedener Theaterstücke und Bühnenprogramme